Geplanter Notfall in 100 Metern Höhe
Unternehmensübergreifende Einsatzübung im Windpark Hollich
28. August 2017
Rheine/Steinfurt. Bei einem routinemäßigen Wartungseinsatz auf einer Windenergieanlage verletzt sich einer von zwei Anlagentechnikern so schwer, dass er den anspruchsvollen Abstieg aus der Gondel nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen kann. Diese lebensbedrohliche, aber durchaus realistische Notfallsituation wurde am Dienstag, den 22. August 2017, auf einer Windenergieanlage im Bürgerwindpark Hollich im Rahmen einer geplanten groß angelegten Rettungsübung simuliert. Wie gut funktioniert in einem solchen Szenario die gesamte Rettungskette? Wie lange dauert es, bis Rettungskräfte vor Ort sind und bis dem Verletzten geholfen werden kann – von der Erstversorgung am Unfallort in 100 Metern Höhe bis zur notfallmedizinischen Versorgung im Rettungswagen? Antworten auf diese wichtigen Fragen zu finden, stand im Mittelpunkt der Übung, an der unter anderem Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr Steinfurt und des Rettungsdienstes des Kreises Steinfurt teilnahmen. Insgesamt waren an der Übung in Hollich Mitarbeiter folgender Firmen beteiligt: RescOff (Schulungsdienstleister spezialisiert auf Windenergie), AVAILON und Deutsche Windtechnik X-Service (beide Dienstleister Service und Wartung von Windenergieanlagen), VESTAS (Windenergieanlagenhersteller) und die WindRegion Münsterland (Netzwerk für die regionale Windenergiebranche).
Zwar müssen die während der Übung erhobenen Daten erst noch detailliert ausgewertet werden, um ein abschließendes Fazit geben zu können, doch zeigten sich die Beteiligten bereits kurz nach dem offiziellen Abschluss des Großeinsatzes mit dem Verlauf der Übung sehr zufrieden: „Die wichtigste Nachricht von heute lautet: Im Ernstfall hätte eine schwerverletzte Person medizinisch versorgt und sicher aus der Anlage gebracht werden können“, fasst Gesamtübungsleiter Marco Dierkschneider, verantwortlicher Ausbilder der Firma RescOff, das vorläufige Ergebnis des Einsatzes zusammen. Carsten Huth (Availon) war am Einsatzort für die Beobachtung der Serviceteams zuständig: „Das Ziel der Übung bestand darin, Verbesserungspotentiale entlang der gesamten Rettungskette in einem Notfall auf einer Windenergieanlage zu identifizieren, um einer verunfallten Person schnellstmöglich helfen zu können“.
Tatsächlich gestaltet sich die Rettung aus einer Windenergieanlage alles andere als einfach. „Die erste Herausforderung stellt sich bei der Frage nach dem schnellsten Anfahrtsweg zum Unfallort“, erklärt der Gesamt-Übungsleiter. Schließlich befänden sich viele der Anlagen abseits von gut ausgebauten Verkehrswegen, zum Teil inmitten von Acker- oder Waldflächen – keine guten Voraussetzungen für die schnelle Ankunft von Rettungskräften. Haben es die Rettungskräfte schließlich zu der entsprechenden Anlage geschafft, stellen sich die nächsten Hürden: Wie gelangen sie in den Turm der Windenergieanlagen? Welche Höhenrettungsausrüstung ist vor Ort vorhanden? Wie kommen die Einsatzkräfte nach oben zu dem Verletzten in der Gondel? Und schließlich: Wie lässt sich der Verletzte sicher nach unten transportieren? „Tatsächlich ist das Ausmaß der Rettungskette immens, es müssen sehr viele Personen die richtigen Entscheidungen treffen – hier kommt es auch auf gute Absprachen zwischen allen beteiligten Akteuren an. Beides hat heute sehr gut funktioniert“, erläutert Yassine Mokdad, Projektleiter der WindRegion Münsterland.
Die Unternehmen haben großes Interesse daran, neue Erkenntnisse zum Rettungskonzept für Windenergieanlagen zu gewinnen. Friedhelm Dennemann, Mitarbeiter der Windpark Hollich GmbH & Co. KG, erläutert die Motivation des Bürgerwindparks, an der Übung teilzunehmen: „Für uns als Anlagenbetreiber ist es von sehr großer Bedeutung, gute Kontakte zu den örtlichen Feuerwehren und Rettungsdiensten zu haben, um im Notfall die Einsatzkräfte vor Ort gezielt unterstützen zu können. Um diese Abläufe zu üben, stellen wir gerne eine unserer Anlagen zur Verfügung.“
Die Rettungskette wurde in Gang gesetzt, als am Dienstag um 10:59 Uhr ein Notruf bei der Rettungsleitstelle Kreis Steinfurt in Rheine einging. Ein Kollege habe sich bei Wartungsarbeiten auf einer Windenergieanlage schwer an Kopf und Fuß verletzt und sei zu einem Abstieg aus eigener Kraft nicht mehr im Stande. Der Techniker, der den Notruf absetzte, konnte der Leitstelle noch erste Informationen über den Standort und die Kennung der Anlage liefern. Daraufhin informierte die Rettungsleitstelle Einsatzkräfte des Rettungsdienstes und der Feuerwehr.
Die ersten Einsatzkräfte trafen rund 15 Minuten nach dem Absetzen des Notrufs am Notfallort ein. Wie es das Rettungskonzept vorsieht, war zu diesem Zeitpunkt der Verletzte bereits medizinisch erstversorgt und wurde für das sichere Abseilen vorbereitet. Kurze Zeit später wurde der Verletzte im Turm der Anlage 100 Meter nach unten befördert und anschließend im Freien vom Rettungsdienst in Empfang genommen.
Die Optimierung der gesamten Rettungskette und der Kommunikation zwischen allen Beteiligten sowie die konsequente Vereinheitlichung von Ausrüstungsstandards der Anlagen kann entscheidend dazu beitragen, das Retten von Verletzten zu beschleunigen. An diesen Punkten werde bereits gearbeitet, merken die beteiligten Unternehmen an und verweisen darauf, dass sie ihre Zusammenarbeit ausbauen und intensivieren wollen.